
Spektakulärer Mumienfund in Basel erzählt viele Geschichten
Mumien faszinieren uns und lassen uns Jahrtausende in die Menschheitsgeschichte zurück schauen. Ägyptische Pharaonen im Wüstensand, der im alpinen Eis gefangene Ötzi und bestens konservierte Moorleichen lassen uns erschauern. Und sie geben Wissenschaftlern Informationen preis über das Leben in vergangenen Zeiten. Ab und an tun sie dies sogar direkt vor unserer Haustür, wie nun das Buch „Anna Catharina Bischoff. Die Mumie aus der Barfüsserkirche“ beweist.
Die Basler Pfarrerswitwe Anna Catherina Bischoff ist eine vergleichsweise junge Mumie: sie starb Ende des 18. Jahrhunderts im Alter von knapp 70 Jahren. Entdeckt wurden ihre mumifizierten sterblichen Überreste 1975 bei einer archäologischen Grabung in der Kirche im Vorfeld einer Sanierungsmaßnahme. Doch erst jetzt hat das Naturhistorische Museum Basel dem Fund eine Ausstellung gewidmet, zu der zudem ein umfassendes Buch über die Erforschung der Mumie erschienen ist, an dem über drei Jahre hinweg zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen mitgewirkt haben: So wurde die Identität der Toten durch molekulare Analysen bestätigt, und durch medizinische Untersuchungen konnte geklärt werden, dass die Witwe aller Wahrscheinlichkeit nach und trotz eines sicherlich untadeligen Lebenswandels an Syphilis litt. Textilreste an der Mumie ermöglichten eine Rekonstruktion ihrer Kleidung. Zahnanalysen zeigten, dass sie ein unbeschwerte Kindheit und Jugend ohne Hunger und Not durchlebt hatte, bevor sie, wie die wenigen schriftlichen Zeugnisse über ihr Leben belegt haben, in Straßburg einen evangelischen Pfarrer ehelichte und sieben Kinder gebar, von denen die meisten der damals üblichen hohen Kindersterblichkeit zum Opfer fielen. Mit kriminalistischen Methoden konnte man zudem mithilfe von Computertechniken das Aussehen der Frau basierend auf dem Erhalt der Mumie rekonstruieren. Und: die Ahnenforschung hat gezeigt, dass der britische Premierminister Boris Johnson ein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel der Baslerin ist.
Die Geschichte der Anna Catherina Bischoff entfaltet sich also als eine faszinierende Reise durch die Kultur-, Stadt-, Sozial- und Medizingeschichte der vergangenen Jahrhunderte. Der Tot der „Dame aus der Barfüsserkirche“ ist keine 250 Jahre her. Und dennoch war die Welt damals eine ganz andere: Krankheiten wurden mit dem hochgiftigen Quecksilber und Aderlässen behandelt, Kinder starben reihenweise an Krankheiten, die wir heute dank des medizinischen Fortschritts kaum mehr fürchten müssen, und die gesellschaftlichen Normen schrieben einer älteren Dame bis mehr oder weniger ins Detail vor, wie sich zu kleiden hatte. Eine Welt, die uns vollkommen fremd erscheint und doch noch sehr nah ist. Es ist faszinierend und lehrreich, sie zu entdecken. (RD)
Info
Gerhard Hotz & Claudia Opitz-Belakhal (Hg.): „Anna Catharina Bischoff. Die Mumie aus der Barfüsserkirche“, 232 Seiten 240 Abbildungen, erschienen im Christoph Merian Verlag, 38,- €. Die Ausstellung im Naturhistorischen Museum in Basel, bei der auch die Mumie selbst gezeigt wird, läuft noch bis zum 9. Januar 2022. Am 6. Januar 2022 um 18:30 hält der Wissenschaftler und Buchautor Gerhard Hotz bei freiem Eintritt einen Vortrag über die Mumie und ihre Erforschung.
Weitere Infos und Öffnungszeiten: www.nmbs.ch