
Das Naturschutzgebiet Taubergießen in Südbaden lässt sich am besten mit dem traditionellen Fischerboot erobern
Rund 12 Kilometer lang, bis zu 2,5 Kilometer breit und von solch einmaliger Schönheit, dass er schon auch mal schwärmerisch als „Amazonas Deutschlands“ bezeichnet wird, ist der Taubergießen in Südbaden. Seit knapp 40 Jahren ist er Naturschutzgebiet und fasziniert seine Besucher. Wandern kann man hier sehr schön, auch paddeln ist möglich. Noch schöner aber ist eine Bootstour mit einem der traditionellen Fischerboote durch das Flussgebiet zwischen der
Ortenau und dem Landkreis Emmendingen. Viel Werbung wird nicht für diese gemächliche Art der Flussfahrt gemacht, denn der Taubergießen soll nicht überrannt werden. Umso magischer gestaltet sich ein Besuch.
Fischereirecht für lokale Fischerfamilien
Kahnfahrten werden ausschließlich von den alten örtlichen Fischerfamilien angeboten: Das Fischereirecht wird seit Jahrhunderten in der Familie vom Vater zum Sohn vererbt. Töchter oder eingeheiratete Männer bekommen, so will es die Zunftordnung aus dem Mittelalter, kein Fischereirecht. Heute sind nur noch wenige Zunftmitglieder mit den Booten unterwegs. Meist haben sie statt Fischen Ausflugsgruppen im Boot, die sich an der europaweit einmaligen Landschaft erfreuen und seltene Tier- und Pflanzenarten beobachten wollen: Es gibt seltene Orchideen zu sehen, die im Mai wunderschön blühen. Der Nutria lebt hier, wie auch der Eisvogel, die Uferschwalbe, die Ringelnatter, die Bisamratte und verschiedene Entengattungen.
Der Taubergießen, so sagen diejenigen, die ihn erlebt haben, ist eines der letzten Naturparadiese in Europa. Sein Name bezieht sich auf die „tauben“ (nährstoffarmen) „Gießen“ (Grundwasserquellen), die hier das Wasser speisen. Der Anblick ist magisch: Im Wasser wächst der Flutende Hahnenfuß, aus den Wasserläufen erheben sich prächtige Schwarzerlen und am Ufer wächst die älteste Pflanzengattung der Erde, der Schachtelhalm. Aus dem Schilfrohr haben die Fischer in früheren Zeiten als Nebenerwerb Rohrmatten geflochten, die beim Häuserbau zum Einsatz kamen.
Irgendetwas stört die Idylle…
Rund eine Stunde sind wir mit dem Fischerboot unterwegs, als plötzlich hinter einer Flussbiegung die großen Antennenschüsseln des sogenannten „Ionosphäreninstituts“ ins Blickfeld geraten. Was hier in einer regelrechten Science Fiction Kulisse genau passiert, wusste über Jahrzehnte hinweg keiner so genau. Heute ist klar: Das Institut aus den Siebzigerjahren ist eine Anlage des Bundesnachrichtendiensts BND, ein Relikt des „Kalten
Krieges“.
Am Ziel in Rust/Ortenaukreis hat unsere Gruppe etwa eine Stunde später die halbe Länge des Naturschutzgebiets durchquert. Das Boot wird nun abgeholt, und auf der Rückfahrt aus dem Flussgebiet, in dem die Zeit still zu stehen schien, sieht man einige hundert Meter entfernt die Achterbahnen des Europa Parks in Rust in den Himmel ragen. Der Anblick ist nach der Fahrt durch den „Amazonas Deutschlands“ fast surreal.
Ralf Deckert
Informationen zu Bootsanbietern
www.taubergiessen.com und bei den Rathäusern in Rheinhausen, Rust und Kappel-Grafenhausen.